„Hello Stranger“ von Wagner Moreira: Fátima López Garcia und Momoe Kawamura

„Hello Stranger“ von Wagner Moreira: Fátima López Garcia und Momoe Kawamura

Headbangen mit Yetis

„Hello Stranger“ am Jungen Theater Regensburg umkreist humorvoll Pubertät und Identitätssuche

Pubertät und Identitätsfindung sind meist nicht einmal im Rückblick amüsant. Wagner Moreira nähert sich in Regensburg mit vier Tänzer*innen dem Ganzen mit ernsten Humor - wachsende Brüste und Schamhaare inklusive

Regensburg, 17/02/2024

Jim Morrison lieferte 1967 im seltsam zarten Song „People are strange“ noch ein reichlich düsteres Bild des Fremdseins. Ein halbes Jahrhundert später begrüßt Hindi Zahra in „Beautiful Tango“ den Fremden bereits mit ausgebreiteten Armen als „schönen Fremden“, dessen Namen sie gar nicht wissen will. In die gleiche Richtung blickt Wagner Moreira mit seinem Tanzstück „Hello Stranger“, das am Jungen Theater Regensburg seine laut trampelnd gefeierte Uraufführung erlebte.

Damit fügt der Chefchoreograf dem Jahresthema des Theaters, Identitäten, mit einem kleinen Ensemble von vier Tanzenden eine ebenso humorvolle wie ernsthafte und vor allem temporeiche Variante hinzu. Mit Fragen wie „Wer bin ich? Vegetarier, Person of Color, Brillenträger (oder) Chamäleon“, wie es im Programmheft flapsig heißt, greift er Gefühlslagen und Themen auf, die in irgendeiner Form jeden jungen Menschen bewegen. In der oft schwierigen Zeit der Pubertät, wo es bei vielen innen und außen heftig durcheinander geht, kann ein solches kulturelles Angebot zwar kein Wunder bewirken, aber vielleicht ein wenig Entlastung bringen.

Streetart-Breakdance zum Einstieg

Für die vielen Fragen, die auftauchen, wenn sich plötzlich unbekannte Gefühle regen, Schamhaare und Brüste zu wachsen beginnen, wenn alles nur noch ätzend ist oder man sich unverstanden fühlt oder geschnitten wird, hat Wagner mit seiner Truppe fantastische Bilder gefunden. Und er hat diese in akrobatisch-wirbelnde, slapstickartige und atemberaubende Tanzszenen verpackt, die zeigen, wie man sich ausprobiert, in Pose wirft oder versteckt. 

Gleich zu Beginn, nach einem herrlich schlurfigen Aufwachen, knallt ein Breakdance-Solo von Vincent Wodrich richtig rein. Hier präsentiert sich einer mit spürbarer Lust, mitreißender Hingabe – das gilt für alle Tänzer*innen – und schier schrankenlosem Bewegungsrepertoire, der seinen Weg gemacht und zu sich gefunden hat. Auf jedem Streetart-Festival wäre Wodrich der Star. Gerade damit kann er auch besonders gut ein jüngeres Publikum ansprechen und erreichen. Am Ende, wenn alle vier Tänzer und Tänzerinnen innehalten und kurz auf ihre eigene Pubertät zurückblicken, erzählt er in wenigen Sätzen von seinen Erfahrungen als „immer der Kleinste und Jüngste“ in der Klasse, in der Peergroup, im Freundeskreis. 

Eigene Geschichten erzählen

Auch vorher schon docken die vier, Wodrich, Fátima López Garcia, Win McCain und Momoe Kawamura mit eigenen Jugendfotos und persönlichen Erinnerungen an der Erfahrungswelt junger Zuschauer an. Ein tänzerischer Moment, der vielleicht beim einen oder anderen anwesenden Elternteil kurz den Atem stocken ließ, war als Garcia und McCain in fleischfarbenen Trikonts hinterm Lamellenvorhand hervor tanzten. Spielerisch begannen sie sich Orangen, Äpfeln und andere Früchten unter die Trikots zu stopfen, Geschlechterwechsel und Relativierung der nach wie vor vorherrschenden eindimensionalen Geschlechtszuweisung in Einem. 

Köstlich auch die umständlichen Annäherungsversuche von Wodrich als schüchterner Verliebter an die eher desinteressiert wirkende Kawamura. Aus einem Igluzelt heraus schleuderte er ihr immer neue Kissen hin. Sie schnallte sich diese an Knie, Bauch und Rücken und rutschte und schaukelte damit unsicher herum. Ihrer aufkeimendem Neugier mit der sie zu ihm ins Zelt kroch entzog er sich, indem er im Tunneleingang davonrobbte. Mutproben mit Jugendlichen aus dem Publikum, „Catch me“, wenn ich mich fallen lasse und Imitationsspiele mit Lachverbot lösten begeisterten Zwischenapplaus aus. 

Techno, Pop, Elektro

Natürlich kommen auch verspielte und scheue Annäherungen zwischen den Jungs ins Spiel. In der zweiten, etwas weniger spannenden Hälfte purzelt Wodrich mit aufgepolstertem Oberkörper als testosterongesteuerter Schwarzeneggerverschnitt herein, während McCain in einem lachhaften Yeti-Kostüm den stillen Träumer gibt. Die selbstsicheren Mädels treten in Leder und mit Stacheln auf. Es ist ein stetig sich änderndes Spiel mit und die Suche nach Identitäten. Dabei geht es letztlich immer darum „dazu zu gehören“, Teil des jeweiligen Clans zu sein und sich gleichzeitig mit seinen Eigenheiten entwickeln zu können. Das schönste Bild dazu lieferte das Quartett mit dem kurzhaarigen Wodrich um den herum die anderen ihre langen Mähnen in bester Metalmanie schleuderten. Die gelungene Musikauswahl zwischen Techno, Pop und Elektronik und das Licht bilden mit dem fantastischen Tanz ein großartiges Erlebnis. Einige wenige überzogene Effekte können den Gesamteindruck kaum schmälern. 

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