„And for the Time Being“ von Ian Kaler

Interventionen zwischen Tanz und Film

Magdalena Reiter und Ian Kaler bei der Tanzwerkstatt Europa

In Reiters „Quartet“ begeistern die smoothen Übergänge und ständigen Perspektivwechsel. Kalers „And for the Time Being“ wirkt wie die Vorführung einer Privat-Mythologie.

München, 14/08/2025

Eigentlich ist ein Versagen der Technik der Gau für eine derart auf den Live-Film abgestellte Produktion. Und selbst den stecken die beiden Tänzer*innen nonchalant weg. Beno und Jerca Rožnik Novak haben gerade eine Sequenz begonnen, in der er ihr selbstvergessenes Balancieren auf einer Linie mit der Handkamera festhält und die Situation zwischen Intimität und Grenzverletzung kippt. Wenn sie merkt, dass er ihren Hintern ins Visier nimmt, geht sie mit spöttisch-sexualisierten Posen in die Offensive, wehrt die Kamera ab oder wirft einen strengen Blick hinein, der auch den Voyeurismus der Zuschauer*innen meint. 

Irgendwo dazwischen musste die Deutsche Erstaufführung von Magdalena Reiters „Quartet“ im HochX für einige Minuten unterbrochen werden. Das Wieder-Neu-Ansetzen danach war jedoch kein Problem für das Paar, das den Nachnamen und eine lässige Vertrautheit teilt. Neben den ausgeklügelten Positions- und Achs-Verschiebungen der zwei Kameras ist sie die Basis für das Stück, in dem die polnische Choreografin und ihr slowenisches Team die Vielfalt menschlicher Beziehungen untersuchen. Sein Name „Quartet“ verdankt sich der Tatsache, dass Novak und Novak in fast jeder Szene filmische Doubles haben. Wenn die von ihnen selbst justierten Aufnahmewinkel Spiegeleffekte produzieren, sind es auch mal mehr als zwei. Die Ebenbilder der beiden erscheinen auf einer mittig aufgestellten Leinwand und verwirren einen in der Anfangseinstellung total, weil sie immer in die andere Richtung schauen als die Originale aus Fleisch und Blut - und erst im Bild erscheinen, wenn sie sich von der Kamera entfernen. Dabei wird der Partner im Film von seiner Bühnenpartnerin angespielt und vice versa

Alles fließt ineinander in diesem raffiniert gebauten Reigen der Begegnungen zwischen Leinwand und Bühne, wobei beide Ebenen unterschiedliche Realitäten zeigen. Kaum etwas ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Nicht einmal die Größenverhältnisse sind fix. Und man versteht sofort: Diese Beziehung ist in Bewegung, ist ein komplexes und störanfälliges Geflecht mit dünnen Trennlinien etwa zwischen Erotik und Gewalt. Davon erzählt auch der Tanz alleine, etwa wenn Jerca Beno am Kinn oder an der Haut über dem Schulterblatt über die Bühne zieht und er sie wieder und wieder seinen Rücken herunterrutschen lässt. Sie bringen einander zu Fall, sind ausgelassene Spiel- und verbissene Sparringpartner, die Stirn an Stirn durch den Raum rotieren. Doch die reduzierte, repetitive Bewegungssprache ist nicht das Spektakuläre an diesem vielschichtigen Abend. Es sind die smoothen Übergänge und ständigen Perspektivwechsel, die die Schnitt- und Montagetechnik erlauben. 
 

Mit „Quartet“ ging die diesjährige Tanzwerkstatt in die zweite Woche und in ein kurzes Tanz-Film-Zwischenspiel. Fortgesetzt hat es der in Berlin lebende Österreicher Ian Kaler mit seiner Videoinstallation „Sentient Beings“ und einer rund vierzigminütigen Version seines Solos „And for the time being“. Ursprünglich Teil eines Doppelabends, hat Kaler dieses Stück neu konzipiert und einer aktuellen Fußverletzung angepasst. Welche Bewegungseinbußen das mit sich brachte, ist ohne Kenntnis des Originals schwer zu sagen. Doch dass der charismatische Performer hauptsächlich mit dem Oberkörper und den Armen tanzt und mit einem Fuß im Überschuh die Bühnenlandschaft im Schwere Reiter vermutlich holpernder erkundet, ist nicht das Problem des Abends. 

Kalers „The Rider“ lehnt sich schon mit seinen Outdoor-Klamotten gegen die Autorität seiner Bühnenfigur auf und tut das auch gegenüber dem Text, der auf die Bühne projiziert und von Kaler selbst eingesprochen wird. Er fungiert als eine Art Drehbuch, von dem sich der Solo-Performer abzuweichen erlaubt wie Kaler selbst vom Drehbuch seines Lebens. Ursprünglich im Körper einer Frau geboren, ist sein Projekt die Transition im übergreifenden Sinne. Auch jedes neue Stück baut inhaltlich und formal auf dem vorangegangenen auf. Zeitgenössischer Tanz, narrativer Film und ein aus der Bildenden Kunst stammendes plastisches Denken spielen darin ihre Rollen, und eine sehr zentrale spielt das Pferd. Es ist sein Partner seit seiner Kindheit und Jugend; dass es ihm als eine Art Spiegel, Bewegungs- und Sensitivitätscoach dient, erzählt eindrucksvoll der Film-Loop „Sentient Beings“. 

In Kalers Solo aber ist das Pferd vor allem „unseen presence“, nur fühlbarer Bezugspunkt seiner behutsamen Raumerkundung, das aber hauptsächlich für ihn selbst. Zwischen einer quadratischen Schräge und einer Kiesinsel mit Steinen unternimmt und unterlässt Kaler Handlungen, die die teil-esoterischen Untertitel Reiter oder Pferd zuschreiben. Den Arm streckt er zum Beispiel aus, die beschriebene Suche nach dem Feuerzeug spart er sich. Wie das Pferd den Hügel erklettert er die Schräge, auf der schließlich das Bild eines Schimmels mit wachsamem Ohrenspiel erscheint. Die Kamera zoomt auf Widerrist, Hals und Auge, auf Ausdruck, Muskeln und die Flecken im Fell. Auch in Kalers Tanz sind die Details am sprechendsten. Eine Wellenbewegung der Hand wirkt allein schon wie ein Blick-Magnet. Und dennoch wirkt das kurze Stück wie die Vorführung einer Privat-Mythologie, aus der das Publikum ausgeschlossen bleibt.

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