„Minutemade“. Choreografie von Fabrice Mazliah. Tanz: Ensembles des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz

„Minutemade“. Choreografie von Fabrice Mazliah. Tanz: Ensembles des Balletts des Staatstheaters am Gärtnerplatz

Immer in Bewegung

„Minutemade“ - Gärtnerplatztheater sorgt im Münchner Werk7 für Begeisterung

Dynamik pur breitet sich aus, es gibt aber auch Momente des Innehaltens, die plötzlich zu akrobatischen Hebungen und Bewegungsabläufen kulminieren, bevor sie im nächsten Moment auf dem Boden der Hip-Hop-Tatsachen enden.

München, 02/04/2024

Der beliebte Fortsetzungsroman, korrekterweise: Die Fortsetzungsserie, bekannt aus Genre des Fernsehens, hat längst auch in die Tanzwelt Einzug gehalten, so auch mit der Ballettkompanie des Gärtnerplatztheaters. Genauer gesagt, seit inzwischen elf Jahren existiert das Format „Minutemade“, das von Beginn an für Furore sorgte und der Kreativität (fast) keine Grenzen setzt. Das bewährte, abwechslungsreiche Format hat Karl Alfred Schreiner, Ballettdirektor des Staatstheaters am Gärtnerplatz ins Leben gerufen. Es ist eine willkommene Gelegenheit, Choreograf*innen wie Adam Linder, Rafaële Giovanola, Fabrice Mazliah und Marco da Silva Ferreira nach München zu holen: „Ein Raum, eine Woche, 20 Tänzer*innen“, lautet die Grundregel dieser 3aktigen wöchentlichen Dancesoap, die sich an dem Aufbau der Seifenoper orientiert. Ursprüngliches Ziel dieses seriellen Unterhaltungsschemas aus Amerika war es, Werbung in Werbeblöcken – zumeist im Wochenabstand – unterhaltsam zu präsentieren, im Radio oder Fernsehen. Die „Soap“ sollte zu Beginn der 1933er Jahren, potenzielle Kunden durch dieses Format an das beworbene Produkt binden, damals zunächst Waschmittel.

Bei dieser 3teiligen Produktion des Gärtnerplatztheaters geht es nicht um Werbung. Doch weist dieses Format Ähnlichkeiten zum Ursprungsformat auf. Auch hier geht es um Schnelligkeit und darum, mit wenig Mitteln (Requisiten aus den Beständen des Theaters) und auch geringem technischen Aufwand, innerhalb einer Woche eine unterhaltsame, packende Choreografie auf die Beine zu stellen. Eine Folge dauert mindestens 20, höchstens 40 Minuten. Der Choreograf bzw. die Choreografin kann selbst in der Vorstellung einzelne Teile seiner Choreografie wiederholen, verändern oder neu erarbeiten, wie dem Programmblatt zu entnehmen ist. Wie in der Radio-/TV-Soap beginnt die neue Folge dort, wo die vorangegangene aufgehört hat. Am Anfang der neuen Vorstellung steht die Wiederholung in komprimierter Form als eine Rückblende der vorangegangenen Folge.

Immer wieder neu

Auch wenn das Konzept vereinfacht lautet, möglichst wenig Aufwand für möglichst enge ‚Kundenbindung‘, sprich: Die Neugierde mit wenigen Mitteln zu wecken auf Lust nach Fortsetzung in der nächsten Vorstellung, so haben Jörg Ritzenhoff und Franco Mento speziell Musik für das Stück von Rafaële Giovanola (Teil 2 im 1. Akt am 14.3., Teil 1 im 2. Akt am 21.3) komponiert. Genau darin liegt der Reiz, den Rahmen dieses Ideenkorsetts kreativ auszuschöpfen. Da erklingen Vogelstimmen, Krötenstimmen, andere Tiergeräusche inmitten eines Erwachens der Natur. Zunächst noch zaghaft schält sich auch der menschliche Körper, mal als Pflanze, mal als Tier oder eben als Mensch aus dem Naturklangbild. Von der allmählich sich aufblätternden Natur – vom Individuum bis hin zu sich immer wieder neu zusammensetzenden Gruppierungen reicht die differenzierte Bewegungssprache. Die Klangkulisse, die vielmehr ist als allein Kulisse und auch Klang, lässt diese Tanzsprache, mal artistisch, mal hektisch, dann wieder als Schwarmintelligenz aufleuchten, zieht das Publikum in den Bann; dieses verfolgt dem Geschehen auf der Bühne im „Werk 7“ wie in einem amphitheaterähnlichen Raum aus nächster Nähe. 

Formgebend ist nicht nur der funktionale Bühnenraum, sondern auch die Formensprache der Barockmusik, die mit Synthesizer-Klängen bearbeitet die Musik ‚modernisiert‘ den Bogen vom Barock zur Gegenwart spannt – musikalisch wie von der Tanzsprache her. Klar erkennbar sind kanonische Einsätze von Gruppierungen aber auch überraschende solistische Einwürfe wie die eines Mundharmonika spielenden Tänzers. Der 2. Akt endet mit einer Art Raupe, die durchaus skurrile Elemente aufweist und den Zuschauer zum Schmunzeln hinreißt. Es liegt nahe, dass diese Szene einen hohen Wiedererkennungswert hat und damit den 3.Akt eröffnet. Genauso war es dann auch. Zum dritten Male lautet dann das Motto, eigentlich Mantra: „Ein Raum. Eine Woche. 20 Tänzer*innen.“ Schnelle Schritte, Laufen und Paare finden sich wieder und neu. Alle Episoden sind voneinander getrennt und doch miteinander verwoben wie ein Soap-Zopf. Froschquaken, neobarocke Klänge, erratische Bewegungen zu Beginn, die immer fließender werden. Dynamik pur breitet sich aus, es gibt aber auch Momente des Innehaltens, die plötzlich zu akrobatischen Hebungen und Bewegungsabläufen kulminieren, bevor sie im nächsten Moment auf dem Boden der Hip-Hop-Tatsachen enden. Nur wenig später findet sich aus dem Nichts eine Gruppe, die dann unvermittelt im Dunkel verschwindet, ohne Ankündigung, ohne Langeweile – immer in Bewegung.

 

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