Das Harakiri des Verführers
Uraufführung im Theater Regensburg
Mit „Shakespeare Dreams“ gestalten Regensburgs Tanzchef Yuki Mori und Alessio Burani einen temporeichen Tanzabend
Himmel und Hölle – von Menschen gemacht! Bei William Shakespeare liegen diese beiden Prinzipien eng bei einander, durchziehen praktisch sein gesamtes Werk. Yuki Mori, Chefchoreograf am Regensburger Theater hat sich diese unauflösliche Disposition des Gegensätzlichen für den Tanzabend „Shakespeare Dreams“ zu eigen gemacht. Die Uraufführung im Velodrom war ein durchschlagender Erfolg. Für den aus zwei Teilen bestehenden Abend hat sich Mori für den Tänzer Alessio Burani als zweiten Choreografen entschieden. Als Yuki Mori 2012 nach Regensburg gekommen ist und die Tanzsparte übernommen hat, gehörte Burani von Beginn an zur Kompanie. Bereits in den vergangenen Jahren hat er mehrfach eigene Choreografien für die „Tanz.Fabrik!“ entwickelt. Sein Teil des Shakespeare-Abends ist „Human“ überschrieben. Es könnte ihm zum Durchbruch als Choreograf verhelfen, versteht Mori die Zusammenarbeit doch explizit auch als Nachwuchsförderung.
Mori disponiert seine „Allegoria“ betitelte Geschichte zeitlich zunächst korrekt mit Barockmusik und steifen Halskrausen. Sie lassen die aus dem Nebel kommenden Tänzer streng und distanziert erscheinen. Abrupte Tempowechsel geben dem Gruppenauftritt eine groteske Note. Bevor der historisierende Rahmen dann zur Parodie oder trögen Last werden kann, nehmen die Tänzer die Halskrausen ab und legen sie nackten Torsi um Schneiderpuppen, die sie über die Bühne fahren. Das überaus pfiffige Bühnenbild (Monika Frenz), ein Sternenzelt aus von der Decke hängenden Glühbirnen und einer aus Spiegelquadraten bestehende Rückwand mit x-facher Verzerrung, Ausdehnung und Vervielfachung, tut ein Übriges, die Zeitgebundenheit aufzuheben. Das entspricht Shakespeares Welt aus starken urmenschlichen Antrieben und Gefühlen, die überzeitlich existieren. Diese Wucht humaner Triebe und Intrigen, immerwährender Lust, Leidenschaft und Kampf bricht sich im Duett zweier Rotgekleideter (Alessio Burani/Simone Elliott) Bahn. In dämonischer Atmosphäre schälen sie sich aus den Seitengassen, mit schauerlichen Verrenkungen und Verzerrungen in die Welt geworfen. Sie nehmen Gestalt an und entfalten sich in einem temporeichen, hochspannenden Wechsel aus zärtlichen Berührungen und entschiedener Abwehr, aus machtvollem Gehabe und Hingabe. Hier finden die großen Paare aus Shakespeares Kosmos, von Romeo und Julia bis Macbeth, bebenden Widerhall, wunderbar und treffend eingebettet in Musik von Charles Avison (1709 – 1770) und den zeitgenössischen Komponisten Max Richter und Ezio Bosso. Währenddessen wirbeln die übrigen Tänzer als Volk, mal synchron, mal im Pulk in atemberaubender Dynamik neben und hinter dem Paar. Von den vier Neuzugängen, die sich allesamt gut in das Ensemble einfügen, fällt die junge Rei Okunishi aus der japanischen Hafenstadt Kobe durch ihren kraftvollen Stil, eine animalische Schnelligkeit und Präzision besonders auf. Auch wenn sie exakt synchron tanzt, hat man bei ihr den Eindruck, dass sie alle Drehungen, Bewegungen und Formen eine Zehntelsekunde schneller vollendet hat, als die übrigen Mitglieder Kompanie.
Im gleichen Bühnenbild lässt der laute Klang eines heftig geführten Schlages das Publikum zu Beginn des zweiten Teils zusammenzucken. Flüsternde Stimmen, wie von Feen oder Trollen in einer sternenklaren Nacht rezitieren aus dem 20. Sonett Shakespeares: „Ein weibliches Gesicht gab die Natur dir / Herr und Herrin meiner Leidenschaft“. Die Androgynität des Textes nutzt Burani, um die Stellung der Frau zu hinterfragen, die im elisabethanischen Zeitalter nicht auf die Bühne durfte und von Männern dargestellt wurde. Bei ihm ist es ein zartes Zwitterwesen (Laura Hogan), das hinter einer weißen Stoffbahn wie im Nebel mit ihrem Schatten tanzt. Es tritt daraus hervor, verschwindet wieder, nimmt zur wunderbaren Musik von Henri Purcells „When I am laid in earth“ nach und nach Gestalt an, inzwischen umflossen von „Meer“ an nackten Leibern, die sich ihm vorwitzig nähern und es befühlen. Ein Wechsel zwischen naturhafter Feen-Welt und dem bunten Treiben menschlicher Vergnügungen setzt ein, die eine sinnliche Verbindung zum komödiantischen Kosmos des großen Meisters derben Humors schaffen. Ein Doppel-Duett mit „unschuldigen“ Frauen in weiß – wie das anfängliche Zwitterwesen – setzt diesen Reigen shakespeare´scher Uneindeutigkeit zu poetischen Klängen fort. Unter Sternenlichtern und einsetzendem Sprühregen, als Metapher für die enge Verbindung zu Erscheinungen der Natur, beginnt sich am Schluss die Solotänzerin in Weiß (Simone Elliott) langsam aus den Einengungen zu lösen und zu sich selbst zu finden. Wie bei Moris Choreografie legt auch Burani ein zeitweise hohes Tempo vor, raumgreifend und kräftezehrend. Bedingt auch durch minimalistische Musik von Ezio Bosso, Armand Amar und den bittersüßen Romantizismus Abel Korzeniowskis. Während Mori aber Ideen schärfer herausarbeitet und akzentuiert, wirkt Burani in seinen Formulierungen weicher und runder – vermutlich gehören seine Männerduette zu den schönsten und anrührendsten der aktuellen Tanzszene. Verständlicherweise liegt er mit seinem Bewegungs- und Formenrepertoire auch – noch – nahe an dem seines Förderers. Der Arezzoaner aber hat das Zeug sich freizuschwimmen und eigene Ausdrucksweisen zu entwickeln. „Shakespeare Dreams“ ist ein gelungener und überaus lohnender Tanzabend, der dafür die Grundlagen legt.
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