"Who is Frau Troffea" von Ceren Oran
"Who is Frau Troffea" von Ceren Oran

Kollektives Trauma

Ceren Oran, Tänzerin und Choreografin

Access to Dance, das Tanzportal für Bayern, befragt Choreograf*innen in Bayern zu ihrer Arbeit während der Pandemie. Ceren Oran sucht in ihrer aktuellen Produktion nach choreografischen Bildern für das Verhältnis Einzelner zur Pandemie – eine künstlerische Antwort auf ein kollektives Trauma.

München, 06/02/2021
Frau Oran, Ihr aktuelles Projekt "The Urge" soll im Mai simultan in München, Berlin und Köln uraufgeführt werden und versteht sich gewissermaßen als Traumabewältigung der Pandemie. Mit welchen Fragen und Motiven setzen Sie sich hier besonders auseinander?

Es gibt viele verschiedene Ebenen in "The Urge", die im Zusammenhang mit dem Trauma der Pandemie stehen, aber ich kann versuchen, kurz die direkteste Verbindung zu erklären: Als sich die Pandemie ab Februar letzten Jahres rasant auszubreiten begann, erkannte ich, dass viele unterschiedliche Meinungen zum Virus existieren, weil wir noch so wenig Wissen darüber hatten. Obwohl wir in einer globalen Krise steckten, hatte fast jeder Einzelne eine andere Herangehensweise damit umzugehen und ein anderes Verhältnis zum Virus. Einige waren sehr besorgt, andere glaubten nicht daran – so, als ob es sich um eine bestimmte Religion handeln würde, und nicht um eine wissenschaftliche Tatsache –, einige genossen die Folgen des Lockdowns, andere verfolgten Verschwörungstheorien, oder es gab manche, die ignorierten Corona einfach, und so weiter... Aus diesem Grund zielt „The Urge“ darauf ab, das Verhalten jedes Einzelnen während einer kollektiven Krise genauer unter die Lupe zu nehmen. Ich möchte die Beziehung zwischen dem kollektiven Trauma und der einzigartigen Weise damit umzugehen, in choreografische Bilder verwandeln. Und deshalb ist es auch als gleichzeitige Performance konzipiert, um das Gefühl zu verstärken, dass es nicht nur hier bei uns passiert, sondern auch an allen anderen Orten auf diesem Planeten.

Inwiefern stellt die Pandemie Sie in Ihrer Kunstform Tanz vor Herausforderungen? Mit welchen Problemen kämpfen Sie?

Wo soll ich anfangen...? Ich denke, ich habe am meisten damit zu kämpfen, nicht in der Lage zu sein, mit dem Publikum zu kommunizieren. Als Choreograf*innen oder Tänzer*innen arbeiten wir nicht nur im Studio oder auf der Bühne. Hinter den Kulissen wird immense Arbeit geleistet, um eine Performance zu realisieren. Der Organisations- und Produktionsteil unseres Berufs geht also immer noch weiter. Aber jetzt begreife ich, dass ich diesen Teil nur wegen des künstlerischen Ergebnisses und wegen unserer reellen Begegnungen mit dem Publikum genießen konnte. Momentan habe ich daher sehr oft Motivationsprobleme und Schwierigkeiten, Gründe für eine Fortführung zu finden. Mir ist klar geworden, wie wichtig die Anwesenheit des Publikums und dessen Feedback in meinem Leben sind. Abgesehen natürlich von allen logistischen Problemen: Ich arbeite mit internationalen Besetzungen für all meine Projekte. Im Moment ist es eine große Herausforderung, eine Tour oder eine Vorstellung mit Tänzer*innen aus Spanien, Kroatien, Österreich und Israel mit den vorgegebenen Quarantäne- und Reisebeschränkungen zu organisieren.

Setzen die variierenden Restriktionen – Kontaktbeschränkungen, angepasste Trainings- und Probensituationen – auch künstlerische Impulse frei oder dienen sogar als Inspiration?

Während des ersten Lockdowns von März bis April nahmen viele Tänzer*innen ihre eigenen Improvisationen zu Hause auf und teilten diese Videos auf Social Media Plattformen. Ich werde mit einigen dieser Videos als Ausgangspunkt für meine choreografische Forschung von "The Urge" arbeiten. Ich weiß nicht, ob man das als Inspiration bezeichnen kann. Aber alles andere würde sich für mich nur als reines Hindernis anfühlen, das man irgendwie bewältigen muss.

Haben Sie neue künstlerische Formate entwickelt, die sonst nicht entstanden wären?

Das Konzept der Simultanität von "The Urge" ist eine reine Inspiration aus den Folgen des Lockdowns heraus. Ich denke, ich würde sonst nie auf die Idee kommen, eine zentral entwickelte Choreografie gleichzeitig in drei Städten aufzuführen. Im Moment werden wir es nur in Deutschland tun. Aber meine Vision ist es, solch eine Vorstellung künftig in vielen verschiedenen Ländern und Zeitzonen gleichzeitig stattfinden zu lassen. Während des Lockdowns im Mai nahm ich an einem internationalen Kongress teil. In diesen Treffen fand ich es spannend, die verschiedenen Stimmungen und Energien der Menschen aufgrund der verschiedenen Zeitzonen mitzuerleben. Über hundert Personen kamen gleichzeitig aus Australien, Japan, Südafrika, Belgien und den Vereinigten Staaten zusammen, um sich gemeinsam über ein Thema auszutauschen. Und ich überlegte mir, dass dies doch ein interessantes Konzept für eine Aufführung im öffentlichen Raum sein könnte, welche um 10:00 Uhr in Washington DC, um 16:00 Uhr in München, um 18:00 Uhr in Istanbul oder um 23:00 Uhr in Shanghai mit völlig unterschiedlichen Tagesrhythmen und in einer völlig anderen Umgebung stattfindet. Das Stück selber handelt natürlich nicht davon, aber es gibt dem Projekt einen interessanten Kontext, finde ich.

Welche künstlerische Anpassung werden Sie auch nach der Pandemie beibehalten?

Wir befinden uns im Moment in einer Transformationsphase, und ich bin mir nicht sicher, wie weit wir uns dessen bewusst sind. Deshalb glaube ich nicht, dass die heutige Antwort auf diese Frage noch in einem Jahr relevant sein wird. Ich vermute, wir können nur langfristig erfahren und begreifen, wie sehr uns diese Periode – positiv wie negativ – beeinflusst hat, und wie viele unserer Anpassungen letztlich zur Gewohnheit wurden.

Die Tanzwelt lebt derzeit von Live-Streams, Video-Konferenzen, Online-Trainings etc. Wieviel analoge Wirklichkeit braucht der Tanz noch in der Zukunft?

Für einen intellektuellen und globalen Austausch glaube ich, dass Online-Video-Plattformen und Meetings während dieses Prozesses sehr hilfreich waren. Wir können uns mit vielen verschiedenen Künstler*innen von Übersee treffen, aus Ländern, die nicht so viele Möglichkeiten zur Mobilisierung haben, etwa um an Festivals teilzunehmen oder um sich dort zu treffen. Aber letztlich ist Tanz ein Sinneserlebnis. Es braucht die Berührung. Es handelt sich um eine jahrhundertealte Form des sozialen Miteinanders, um eine rituelle Praxis und Kunstform. Für mich geht es um diese analoge Realität, den zwischenmenschlichen Austausch, das Haptische. Ich freue mich auf die Zeiten, in denen ich nach einem langen Probentag im Studio den Schweiß riechen kann oder den Staub von der Tanzfläche einer Bühne einatme, während man sich für eine Vorstellung aufwärmt. Vielleicht lautet eine kurze Antwort auf diese Frage: VIEL!

Welchen Einfluss hat die Pandemie auf Ihr privates Leben? Was vermissen Sie am meisten?

Nun, das ist eine lange Geschichte. Wenn ich ins Detail gehe, wird das ein sehr langer Abschnitt. Stattdessen kann ich sagen, dass ich am meisten meinen Mann vermisse und die Umarmung meiner Freunde, wenn ich sie sehe.

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