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München
EIN KONDENSAT DES KENNENLERNENS
„Anthologie/Blütenlese“ im Münchner Schwere Reiter
Erlesen – und das im doppeltem Wortsinn – ist Cristina D'Albertos neues Tanzstück „Anthologie/Blütenlese“. Mit ihrem Team führte die italienische Choreografin Interviews mit 16 zufällig ausgesuchten Münchner*innen. Deren Lebensgeschichten – gesammelt in Bild und Ton – liegen der Produktion zugrunde. In ihrer abstrahierten Essenz werden sie zu einer getanzten Installation aus kondensierten Aspekten menschlichen Kennenlernens verknüpft.
Schon das Setting macht Eindruck. Da kreuzen sich vier aus Leichtgestell konstruierte Gangelemente. Michele Lorenzini (Ausstattung), der sich über ein Austauschsemester an der Kunstakademie München zum Bühnen- und Kostümbildner mit Aufträgen an diversen staatlichen und städtischen Theatern mauserte, hat sie jeweils mit verschiedenfarbig durchscheinendem Stoff bespannen lassen. Rund um das Geviert aus zarten Mauern, dass nun – überaus coronatauglich, obwohl bereits vergangenen Herbst umgesetzt – das Zentrum der Bühne dominiert, nehmen die 43 Zuschauer*innen Platz. Ohne die sich momentan hochschraubenden Infektionszahlen dürfte man um die Tanzfläche herum flanieren.
Jetzt bleibt der Blickwinkel eben konstant. Nur die Veränderungen von Licht und aus den Gesprächsmitschnitten fragmentierte Projektionen (Ikenna Okegwo, seit 2012 an den Kammerspielen tätig) erlauben, auch das Sich-Körperlich-Auslassen der nicht gerade im eigenen Fokus befindlichen Protagonist*innen wahrzunehmen. Mal mehr, mal weniger. Dass man sich nicht an einem der insgesamt vier Darsteller*innen, die zu Anfang je solistisch ein zum Publikum hin offenes Dreieck bespielen, alleine festbeißt, garantiert ein Karussellsystem.
Wie Mäuse in einem Laborlabyrinth wird bis zur Halbzeit zumindest neun Mal Platz gewechselt. Unter Off-Text-Fetzen, melodiösen Rhythmen oder knirschend-kratzigen Soundwolken sind auf diese Weise nach und nach quasi persönliche Charakteristika und Eigentümlichkeiten zu begreifen, die sich die zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer stellvertretend angeeignet haben.
Später ziehen Sara Campinoti, Robert Hemming, Hillel Perlman und Lotta Sandborgh die sie trennenden Tunnelteile auseinander und schaffen sich einen gemeinsamen Spielplatz, der wiederum etwas durch die nun am Rand wie Bordsteine abgestellten Wände die Sicht auf ihr Begegnen und Zueinanderkommen einschränkt. Aber mit der anderen Optik geht auch choreografisch eine andere Dynamik einher.
Die Interpret*innen, für die Produktion im Spätsommer aus vier unterschiedlichen Ländern angereist und für den Probenendspurt in einem Haushalt untergebracht, schütteln sich Seite an Seite wie mitteilsame Pinguine. Und obwohl ab und an jede*r auf seine oder ihre zuvor gezeigten Schrittmuster zurückgreift, finden sich Freunde oder es wird im Kollektiv umeinander geturnt – Hände und Füße zugleich am Boden. Das Publikum rückt gedanklich ab. Man fühlt sich nicht mehr als direkter Dialogpartner. Welche Bedeutung einzelnen Gesten und dem zu Bewegung komprimierten Erzählen innewohnen könnte, verliert an Brisanz. Hier tobt bzw. vergnügt sich in wellenschlagenden Formationen ein Quartett. Oder eine Gruppe hält inne. Freeze. Lautes Atmen. Stille. Die Regie killt das Licht. Eine hübsche Vorstellung, weil durchaus findig und vielschichtig.
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