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Regensburg
BEDROHLICH WIE HITCHCOCK
In der Alten Mälzerei in Regensburg erlebt Alexandra Karabelas „Du in Mir“ seine Uraufführung
Es macht ein wenig den Anschein einer Versuchsanordnung: Über die metallene Feuerleiter steigt man bis in die luftige Höhe des zweiten Stocks. Durch den Notausgang betreten die Besucher den ins Dunkel getauchten Theaterraum. Von unten aus dem Keller der Alten Mälzerei wummert die Bassdrum eines Schlagzeugs. Mit dichten Schlagfolgen wird es auch noch die bevorstehende Performance immer wieder unfreiwillig dumpf unterfüttern. Innen steht in der Mitte ein Mikrofon, etwas entfernt ein Stuhl, noch weiter weg eine Matratze mit aufgeschlagenem Bettzeug. Davor am Kopfende liegt ein aufgerissenes Päckchen mit hellem Sand. Drumherum an den Wänden lose verteilt ein paar wenige Stühle.
Eine offene Anordnung, die Zuschauer sollen sich frei bewegen während der gut halbstündigen Tanzperformance „Du in Mir“ von Alexandra Karabelas. Die Choreografin nennt es „ein getanztes Kammerspiel über den Missbrauch von Körper, Seele und Geist“. Der Passauer Tänzer Andreas Schlögl und die Performerin und Choreografin Katrin Hofreiter aus Regensburg sind die Akteure, die ohne klare Begrenzung den Theatersaal in eine Bühne verwandeln. Sie folgen einer Dramaturgie, die ihren Ausgang in einem literarischen Text hat, einem mehrseitigen Gedicht des Autors und Opernlibrettisten Christoph Klimke. Anfänglich zitiert Schlögl daraus, wobei im verwaschenen Gemurmel der Inhalt nur bruchstückhaft zu verstehen ist: „…Leben…Träume…allein…das Fenster ist zu…Dschungel…“. Wütendes Hundegebell in einer Videosequenz beendet den rezitierenden Monolog. Klappe, dunkel. Die nächste Sequenz spielt am Boden. Schlögl quält sich ab, sein Körper bäumt sich auf, wirft sich herum, kämpft, krümmt sich und rollt sich in Embryonalhaltung zusammen, während die Frau scheinbar völlig teilnahmslos herumsteht oder desinteressiert auf einem Stuhl hängt.
Ein Programm mit dem Text Klimkes gibt es nicht, so dass nicht nachvollzogen werden kann, inwieweit die Körperperformance einen direkten oder „übersetzten“ Bezug zu dessen Inhalten nimmt. Im anschließenden Gespräch wirft eine Antwort von Karabelas, nämlich dass sie vom ursprünglichen Gedicht immer mehr reduziert, „weggelassen und in den Körper des Tänzers verlagert“ habe, letztlich mehr Fragen auf. „Du in Mir“ weist eine oberflächliche Parallele zu einem frühen Werk Klimkes auf – „Du mein Ich“. Die Verschmelzung zweier Menschen und die aus einer solchen Konstellation resultierenden Qualen, Verletzungen und inneren Blessuren zeigen sind in Karabelas Inszenierung in verschiedener Weise.
Eine weitere Videosequenz zeigt kreischende Vögel, die unwillkürlich an die bedrohliche Stimmung in Alfred Hitchcocks „Die Vögel“ denken lässt. Hofreiter, die fast nur passiv als an- oder abwesende Figur präsent ist, nimmt dennoch maximalen Raum ein, sie ist steter Bezugspunkt. In den wenigen Szenen, wo sie als Person im knallroten Bademantel die Bewegungen Schlögls imitiert oder die Säule im Raum – statt den Partner – umarmt, wirkt sie nachgerade affig. Starke Eindrücke hinterlassen Sequenzen, in denen sich Schlögl minutenlang völlig ungelenk und wackelig auf Knien fortbewegt. Schwankend und unsicher ist auch sein Stand auf dem Rand der Matratze, währenddessen er Sand durch seine Finger gleiten lässt. Das Leben zerrinnt, zurück bleibt Staub.
Lässt erfahrener Schmerz nach, wenn der Mann (Schlögl) immer schneller im Kreis läuft und nach einem Ausweg sucht? Oder treibt die Erinnerung daran einen sogar an? Die Inszenierung von „Du in Mir“ wirkt fragmentarisch, wie ein Gespinst mit losen Fäden, bei dem unklar ist, wie diese verknüpft gehören. Eine echte Herausforderung – mit vollem Körpereinsatz und leidenschaftlicher Ausstrahlung zur Aufführung gebracht.
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