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München
SPAZIERGANG MIT HAUS
"Dancehouse, literally – Tanzhaus, buchstäblich“ beim RODEO-Festival 2016 in München
Der vierte Durchgang des Münchner Tanz- und Theaterfestival RODEO fand vom 06. - 09. Oktober 2016 das erste Mal unter der Leitung von Sarah Israel statt. Dieses Jahr hat RODEO auch erstmals ein internationales Austauschprogramm für Künstler gestartet, das finanziell vom Goethe-Institut unterstützt wird. „Bloom Up“ heißt es und verschiedene Gruppen, bestehend aus KünstlerInnen aus München und dem Ausland, sind darin eingeladen, sich jeweils einem Thema zu nähern und dieses während einer Residenz von insgesamt 17 Tagen vor Festivalbeginn zu bearbeiten. Sie wohnen zusammen und arbeiten gemeinsam an ihren Ideen. RODEO zeigt, was gewachsen ist aus den gepflanzten Vorhaben, ohne fertige Stücke zu präsentieren.
Der Wahlmünchner Stefan Dreher ist beispielsweise einer der Künstler, der solch eine Residenz mit internationalen KollegInnen (Andrea Arobba, Pablo Casacuberta, Wagner Schwartz) ergattern konnte und nun das Projekt „Dancehouse, literally – Tanzhaus, buchstäblich“ präsentiert. Es soll die Erfahrbarmachung eines beweglichen Hauses sein, das tanzt, kein Fundament hat und Grenzen tangiert. Man trifft sich Freitagabend im Eingangsbereich des Muffatwerks und bekommt aus einem Wagen, der wie einer für Kinder aussieht, aber einer für Funkkopfhörer ist, einen solchen überreicht. Es ist angenehmes Vogelgezwitscher zu vernehmen, bis es pünktlich um 20:15 Uhr mit dem ‚buchstäblichen Tanzhaus’ losgeht und die gesamte Zuschauerschaft mit ihren Kopfhörern vom Grundstück des Muffatwerks geleitet wird. Autos kommen einem entgegen, Passanten und Radfahrer ebenso. Man will sich auf das konzentrieren, was nun zu hören ist: ein Text über einen Mann, einen Vater. Die Geschichte wird vom brasilianischen Performer Wagner Schwartz in ein großes Mikrofon gehaucht. Ein ganzes Leben wird nacherzählt.
Wir gehen den Weg zwischen Isar und Muffathallen-Biergarten entlang Richtung Kabelsteg. Dort tanzt inmitten des Weges eine Frau, vielleicht der ‚Bad Spirit’, den Schwartz im Text über den Vater erwähnt. Als Nächstes setzt sich Stefan Dreher in Szene, der leichtfüßig zum Song „Mother’s Little Helper“ der Rolling Stones tanzt. Der Musiker Hajo von Hadeln ist danach an der Reihe und klopft einen Beat. Am imposantesten ist die folgende Performance der uruguayischen Tänzerin Andrea Arobba. Sie steigert sich in ihren Bewegungen, wird drängender, schneller, schneidender. Dabei hören wir über die Kopfhörer ihren Atem und etwas, das entfernt nach Operngesang klingt. Schwartz steht mit dem Mikrofon in ihrer Nähe. Nach ihr tanzt Karmen Skandali unten auf den Steinen der Isar ein sehr romantisches Kapitel, welches das Publikum von der Brücke aus beobachten kann. Frank Frey ist auch mit dabei und wird musikalisch von Christoph Reiserer begleitet, der auf seinem Elektrohemd herumdrückt. Zu guter Letzt wird jedem Zuschauer ein Stamperl in die Hand gedrückt und Wodka ausgeschenkt. Man wird zum Trinken und Aufwärmen eingeladen. Aber leider ist das ‚buchstäbliche Tanzhaus’ ein oberflächliches. Vielleicht liegt dies auch an der Umgebung. Zumindest Andrea Arobba aber hat ihr Zimmer im mobilen Tanzhaus ausdrucksstark ausgestaltet.
Die anderen „Bloom Up“-Produktionen setzen sich gekonnt mit ihren Themen auseinander. Da wurde kein Wodka getrunken, sondern organisiert, diskutiert, geplant, gebastelt und Einiges auf die Beine gestellt. In „Get to know Kassandra“ diskutiert das TeamKassandra (Jessica Glause, Kleopatra Markou, Aleksandra Pavlovic und Beatrix Simkó) die mythische Figur Kassandra in der heutigen, feministischen Zeit. Sie sind wütend und stöckeln ungelenk auf riesigen High Heels auf der Bühne umher, setzen sich mit der misogynen Gesellschaft und den Ansprüchen an die Weiblichkeit auseinander. Dieser feministische Rundumschlag der vier Frauen ist ebenfalls eine Bestandsaufnahme, doch scheint es, dass dieser Samen in den zwei Wochen intensiver gepflanzt und gegossen wurde als das Tanzhaus.
Die Nachwuchstheatermacher Oliver Zahn, Julian Warner aus München und die Britin Phoebe Wright-Spinks gehen in ihrer Arbeit „[Title of Song]“ der Kolonialvergangenheit Deutschlands nach. Man folgt ihnen abends ins „Museum Fünf Kontinente“ und während eines Rundgangs durch die Ozeanien-Ausstellung wird hier erforscht, was es zu erforschen gilt: der deutsche Kolonialismus in Neuguinea. Eben durch das Museum, denn ein Museum soll erziehen, erforschen, bilden und unterhalten. Das Trio ist in seinem Prozess weit gekommen, doch bleibt „[Title of Song]“ bewusst ein Konjunktiv, da sich die Frage nach Geschichte und deren Aufarbeitung oft mit Wertfragen beschäftigt, was soll erhalten werden und was nicht - und diese Frage ist eine schwierige.
„Bloom Up“ des RODEO 2016 hat etwas wachsen lassen. Nicht in allen Veranstaltungen, doch es kann ja nochmals gesät werden. Geblüht hat auf jeden Fall viel.
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