LEUTE
München
IM TRAUM MIT DEN TOTEN TANZEN
Anlässlich des Butoh-Festivals "Sea.Sons" ehrt nach 20 Jahren Abstinenz Tadashi Endo wieder München
Seine japanischen Eltern lebten in China als sie heirateten, Tadashi Endo selbst wurde 1947 in Peking geboren. Bemerkenswert! War es zu der Zeit hoch gefährlich, da Japaner und Chinesen durch die Kriegsverwirrungen zu regelrechten Erzfeinden geworden waren. Seine Großmutter prophezeite Endo einst die Hochzeit mit einer Deutschen. Und so kam es auch. Unterstützt von seiner unverzichtbar gewordenen Lebens- und Berufspartnerin Gabriele, leitet Tadashi Endo seit 1992 in Göttingen das Butoh-Centrum MAMU und bereist als Butoh-Lehrer und –Tänzer die Kontinente. Der Tod fasziniert ihn beinah genauso wie seine Lehrmeister Kazuo Ohno und Tatsumi Hijikata.
Herr Endo, sie sind ausgebildeter Regisseur, wie sind Sie zum Butoh-Tanz gekommen?
Über Umwege. Ich hatte Theaterregie am Max Reinhart Seminar in Wien studiert, hatte selbst viel im deutschsprachigen Raum gespielt und inszeniert. Aber glücklich war ich damit nicht. Ich empfand den deutschen Theaterstil als zu wissenschaftlich und psychologisch. Mich hat diese Intellektualisierung des Theaterwesens damals abgeschreckt, hatte aber dennoch eine Zeit lang an Theaterhäusern wie in Göttingen oder Hannover gearbeitet hatte. Auch wenn es heute experimentellere Theaterformen im deutschsprachigen Raum gibt, geht meiner Meinung nach vom Theater noch immer zu wenig Zauber aus. Theater muss mich faszinieren und emotional ansprechen.
Während meiner Suche nach einer anderen, für mich passenderen Inszenierungs- und Ausdrucksweise, habe ich viel experimentiert, querbeet sämtliche Tanzrichtungen beschnuppert. In diese Zeit fällt auch die Begegnung mit Kazuo Ohno, der neben Tatsumi Hijikata als Begründer des Butohs gilt. Er gab 1989 während des Wiener ImPulsTanz-Festivals einen Butoh-Workshop. Fasziniert haben mich sowohl Lehrer als auch sein Tanz. Ohno hatte eine ungeheuerliche charismatische Ausstrahlung. Er hat mich sehr herzlich aufgenommen. Später ist daraus eine gute Zusammenarbeit entstanden. Und was den Butoh betrifft, so habe ich von Anfang an diesen Tanz eher als Lebensphilosophie denn als Technik oder Modeerscheinung aufgefasst.
Wie war Kazuo Ohno?
Kazuo Onno war wie ein Vater für mich. Bei der Arbeit ging er sehr streng vor, war ein scharfäugiger Kritiker. Aber was ihn besonders ausmachte, war seine liebevolle, großherzige Art. Es war diese enorme geistige Reife, die ihn zum Faszinosum machte.
Wie sieht für Sie ein typischer Butoh-Tänzer aus?
Tatsumi Hijikata war der Meinung, dass Japaner aufgrund ihrer langen Oberkörper und kurzen O- Beine nicht für elegante Tanzformen wie klassisches Ballett geeignet wären. Seinen Schülern erklärte er: Der japanische Körper habe einen Kosmos zwischen den Armen und zwischen den Beinen. Hijikata ging von dem Bild eines nordjapanischen, armen Reisbauern aus. Aufgrund der harten Arbeit im schlammigen Reisfeld hat sich der Körper verformt: Der Bauer geht gebückt, watet bedächtig durch matschige Erde. Die Beine müssen aus dem Morast hochgezogen werden, bevor sie wieder darin versinken. Im Gegensatz zu dieser konzentrierten Langsamkeit stehen die Schauspieler im deutschsprachigen Raum sehr fest auf der Bühne. Ihre harte Gangart, ihr Gebären empfinde ich heute noch als zu dominant.
Zur Entstehungszeit Ende der 1950er Jahre galt Butoh als avantgardistisches Kunstphänomen. Wie experimentell ist Butoh heute?
Butoh verstand sich als künstlerische Protestbewegung gegen die Verwestlichung und gegen den Unterhaltungscharakter des bürgerlichen japanischen Theaters: Die Performances von Hijikata und Ohno schockierten die Zuschauer. Als Beispiel wäre hier „Kinjiki“, zu Deutsch „Verbotene Farben“ zu nennen, das damals aufgrund der offenen Darstellung einer sodomistischen Szene für einen Skandal sorgte. Hijikata entwickelte Lehrmethoden und formulierte wissenschaftliche Thesen, auf die sich die Butoh-Anhänger heute noch beziehen. Ohno dagegen war kein Butoh-Architekt, hat einen intuitiveren Ansatz vertreten. Soweit ich es beurteilen kann hat das Butoh-Fieber in Japan in den vergangenen Jahrzehnten sehr nachgelassen. Es gibt weitaus mehr Nicht-Japaner, die Butoh tanzen. Ein wenig enttäuscht bin ich darüber, dass junge japanische Butoh-Tänzer sich zu sehr an moderne, zeitgenössische, abendländische Tanzrichtungen orientieren und die Butoh-Seele vernachlässigen. Durch meine weltweiten Gastspiele weiß ich aber, dass Butoh anderenorts eine große Anhängerschaft vorweisen kann. In Afrika, Europa und Südamerika orientieren sich Tänzer einerseits an Hijikatas Ansatz, treten mit kahlgeschorenen Schädeln und weiß gepuderten, verwrungenen Körpern auf. Andererseits lassen sie Länderspezifisches in ihre Tänze einfließen. In Mexiko tanzt man eher emotional und ritualgebunden; In Brasilien und Israel merkt man, dass Butoh sich weit vom japanischen Ursprung entfernt hat. Dies halte ich aber für eine durchaus positive Entwicklung. Jeder sollte sich seiner Wurzeln bewusst sein.
Mit welchen Elementen arbeiten Sie immer wieder in Ihren Performances?
Gerne verfeinere ich meine Tänze mit östlichen Noten wie dem Kabuki oder Nō-Theater und natürlich mit Butoh und mische westliche Theater- und Tanztraditionen bei. In München werde ich zwei Stücke präsentieren: Das eine ist eine IKIRU, eine Hommage an Pina Bausch, das andere Stück „Fukushima mon amour“ thematisiert die atomaren Ereignisse in Fukushima. Grundsätzlich geht es in meinen Performances um Leben, Tod und Liebe. Im Tanz möchte ich die nackte Seele zum Vorschein bringen. Der Tod ist seit einigen Jahren ein Hauptmotiv meiner künstlerischen Arbeit geworden, insbesondere durch die Zusammenarbeit mit der Regisseurin Doris Dörrie. Tod stellt für mich nicht nur Traurigkeit, Verlust oder Leid dar. Er ist für mich auch positiv konnotiert, vor allem wenn man sich zu Lebzeiten mit ihm auseinandersetzt. Wenn ich tanze, tanze ich in meiner Traumrealität mit den Toten. Ich selbst habe Angst zu sterben, aber ich bin neugierig dem Tod zu begegnen. Am liebsten möchte ich sterben, um anschließend zurückzukehren und zu berichten wie es war. Aber ich kann mir nicht vorstellen was es bedeutet, nicht mehr zurückzukehren.
Was verbirgt sich hinter dem Titel „IKIRU - hommage à Pina Bausch“?
Während meiner Rückkehr von einem Gastspiel in Brasilien erreichte mich die Nachricht vom Tode Pina Bauschs. Das Jahr 2009 war ein Jahr des Abschieds. Erst der von Pina Bausch, danach Merce Cunningham, Michael Jackson, später dann der Verlust meines Lehrmeisters und Seelenverwandten Kazuo Ohno. All dies waren Menschen, die mich privat wie künstlerisch sehr beeinflusst haben. Bausch hatte ich während eines internationalen Theatertreffens in München kennengelernt. Ich gab dort einen Butoh-Workshop und Bausch präsentierte „Cafe Müller“. Nach der Vorstellung, auf der anschließenden Feier stand sie alleine und beinah hilflos in der Menschenmenge. Da habe ich sie angesprochen. Sie war eine sehr herzliche Person und die Freundschaft mit ihr war sehr bereichernd. IKIRU, das Leben oder Seele bedeutet, ist eine sehr persönliche Art, ihr dafür zu danken.
Wie halten Sie sich fit?
Wenn ich ein Bad nehme, bewege ich 100mal meine Gelenke, vom Finger bis zur Fußzehe − das ist das einzige, was ich als regelmäßiges Training betrachte.
Ohno und Hijikata sind gestorben, liegt es nun an Ihnen die Tradition fortzuführen?
Ich fühle mich nicht unbedingt der Tradition verpflichtet, aber ich möchte das weiterentwickeln, was ich von den beiden gelernt habe. Ich respektiere meine Lehrmeister, aber man sollte die Zukunft des Butoh nicht zu sehr von den beiden abhängig machen.
Das Interview entstand im Auftrag des Münchner Feuilletons.
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