„2xGetanzt“ von Anna Konjetzky: Anna-Maria Schäfer, Jure Knez, David Cahier, Ricarda Fuss, Guido Badalamenti

Kammermusikalische Intimität und berührende Tiefe

Dritte Episode von Roberta Pisus „2xGetanzt“

Zwei Musikstücke, zwei Choreografien, zwei Tänzer sowie vier Musiker*innen sind die Basis für das experimentelle Tanz-Konzertformat. Anna Konjetzky arbeitet hier erstmals mit dem Arcis Saxophon Quartett zusammen.

München, 27/04/2024

Nicht jede Herausforderung schweißt Tänzer*innen und Musiker*innen auf so einnehmende Art und Weise zusammen wie dieser Abend. Für den besonderen Soundtrack zeichnen sowohl die mongolische Komponistin Shuteen Erdenebaatar mit der Uraufführung „Echoes of Life“ als auch Marc Meelits verantwortlich. Unter dem Titel „Tapas“ sind von ihm fünf musikalische Miniaturen aus dem Jahr 2007 zu hören. Alle Musikstücke sindvon unglaublich vielen Takt- und Rhythmuswechseln geprägt. Die Münchner Choreografin Anna Konjetzkywurde dadurch offensichtlich zu einer durchweg sehr klaren formalen Struktur inspiriert. Ihr „Ein Stück ohne Titel“ eröffnet den Abend fast leutselig mit den sechs Protagonisten in einer Reihe.

Sanft wiegen sich alle – lange am Platz – zum Klang der vier Blechinstrumente. Dort, wo diese im diffusen Scheinwerferlicht bei den Musikern golden schimmern, prangt auf den schwarzen Shirts der Tänzer Guido Badalamenti und David Cahier ein goldfarbenes Rechteck. Zunehmend sinken die beiden tiefer als ihre musizierenden Nachbarn ins Plié und lassen die Arme dabei seitlich mitschlenkern. Einen Schritt vor, einen zurück nehmen sie das kontinuierliche Wogen der Musik in sich auf und führen es körperlich immer weiter aus. 

Plätze werden getauscht und die Tänzer sind plötzlich von je zwei Musikern eingerahmt, auf deren Schultern sie sich aktiv hochspringend stützen oder zwischen denen sie kurz mal wie entkräftet hängen. Wenig später zirkeln alle gemeinsam wieder in einer geraden Linie durch den schlicht schwarzen Raum.

Das musikalische Tempo wird schneller, die Musik sprunghaft aufgewühlter und das fortschreitende Drehen in koordinierten Bewegungsmustern weiter, enger, intensiver. Die sechs Akteure kreisen auf der leeren Bühne wie Planeten, die ihren Schwung aus dem selbsterzeugten Klang generieren. Das ruhig dahinfließende Bild sprengen Badalamenti und Cahier. Zum Ende hin schleudern sie ihre Arme um das – nun einander konzentriert zugewandte – Saxophon-Quartett mit mehr und mehr Wucht von sich weg Richtung Boden. 

Solcher Tanz steckt voller Kraft. Abhängig von einer choreografischen Idee vermögen Körpertonus und -entspannung, Energie, Form- und Ausdrucksstärke in Verbindung mit Live-Musik ganz unterschiedlicheWirkungen im Raum zu entfalten. Roberta Pisus experimentelles Tanz-Konzertformat „2xGetanzt“ lässt das Publikum genau dieses Phänomen hautnah mitverfolgen. 

Von 2012 bis 2023 war Pisu Ensemblemitglied der Ballettkompanie des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Schnell hatte sie sich dort für das von Karl Alfred Schreiner ins Leben gerufene Dancesoap-Format „Minutemade“ begeistert. Dass die Choreograf*innen für ihre „2xGetanzt“-Uraufführungen lediglich fünf Tage Zeit haben, ist eine der insgesamt fünf vom „Minutemade“-Vorbild abgeleiteten Regeln. Eine weitere Regel ist, dass die Musiker*innen des Arcis Saxophon Quartetts aktiv in den Ablauf der je 20-minütigen Arbeiten eingebunden werden müssen.

2016 begann Pisu choreografisch eigene Wege zu gehen. Vor vier Jahren gründete sie gemeinsam mit dem Arcis Saxophon Quartett das künstlerisch innovative Arcis_Collective, das für kreatives Zusammenspiel von zeitgenössischem Tanz und klassischer Musik steht und von Pisu geleitet wird. Zu welcher Musik choreografiert werden soll, wird fünf Tage vor Probenbeginn bekanntgegeben. Die Saxophonist*innen Claus Hierluksch, Ricarda Fuss, Anna-Marie Schäfer und Jure Knez hatten allerdings sechs Wochen zur Verfügung, um sich mit den Werken vertraut zu machen. 

Mit ihrer anfangs beinahe sakralen, dann jazzigen und später sogar melancholischen Dynamik bestimmen – fast fließend ineinander übergehend – Marc Meelits‘ „Tapas“ und „Echoes of Live“ – Shuteen Erdenebaatars erstes Werk für Tanz überhaupt – emotional und inhaltlich den Duktus beider Choreografien. Unter den Satzbezeichnungen „Awakening“, „Growth“, „Reflection“, „Transformation“ und „Sparke“ hat auch Erdenebaatars fünf kurze Stücke für Saxophonquartett zusammengefasst. Das Verblüffende am Premierenabend im Münchner Schwere Reiter ist, dass sowohl Anna Konjetzky in ihrer sehr abstrakten Herangehensweise als auch Roberta Pisu in ihrer „La Notte“ benannten Choreografie strukturell erstaunlicherweise vergleichbare tänzerische Motive aufgreifen – und das völlig unabhängig voneinander. 

Umso eindrücklicher wurde das Erlebnis, ein- und dieselbe Musik in zwei verschiedenen getanzten Interpretationen zu hören und zu sehen. Anders als Konjetzky belässt Roberta Pisu die vier Musiker*innen anfangs komplett im Dunkeln. Im Vordergrund schälen sich Guido Badalamenti und David Cahier – zwei Neonröhren am Boden vor sich – aus der Schwärze. Jackettärmel und Hosenbeine werden hochgekrempelt, Beine über die leuchtende Türschwelle gestellt oder der Kopf davor auf die Ellbogen gestützt. Der Szene liegt etwas Rituelles zugrunde. Zwei Männer machen sich zum Aufbruch bereit. 

Nach und nach kommen die Musiker*innen näher, die Tänzer streifen an ihnen vorbei. Ein eindringliches Männerduett wird zur Kernsequenz bei Pisu. Sie erzählt von Annährung und inszeniert einen langen, innigen Kuss. Links an der Seite ist eine Art Flipchart aufgestellt – vollgeschrieben mit nur einem Wort: Opinion. Doch dabei bleibt es nicht. Eine der Saxophonistinnen verändert das Blatt mit rotem Stift. Problem prangt nun in der Mitte des Blatts – und das wirkt sich prompt auf den Umgang der beiden Tänzer miteinander aus. Badalamenti und Cahier verklumpen zu einem Ringerpaar. Der eine drückt den anderen nieder. Als sich dieser aus der krampfartigen Umklammerung löst, bleibt sein größerer Partner in aggressiver Pose stumm schreiend zurück. 

Zum Schluss fordert Pisu das Publikum dadurch heraus, dass diese immer schneller mitlesen müssen, was David Cahier an kurzen, sich zu melancholisch aufgeladenen Sätzen fügenden Worten vom Flipchart herunterzieht. „I wish I could remember how to forget“ ist nur Anfang eines verbalen Bergs, der Guido Badalamenti unter sich begräbt. Hier könnte „La Notte“ enden. Tut es aber nicht. Die Musiker*innen bewegen sich weiter im Raum. Spielend ziehen sie Kreise, während sich beide Tänzer an den Händen halten und sich zu einer Hebefigur verschmelzend in ihrer Mitte dazugesellen. Heftiger Applaus beschließt die aktuelle Ausgabe von „2xGetanzt“, das als Projekt voll überzeugt.

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