Jenseits von schwarz und weiß
Osiel Gouneo stellt seine Autobiografie vor
Vom Minifestival „depARTures“ weiter zur Ballettfestwoche, die das Bayerische Staatsballett sensationell mit „Jewels“ von Balanchine eröffnet
Gerade noch begeisterten in der Mini-Reihe „depARTures“ die zeitgenössischen Ausführungen katalonischer Tanzkünstler. Insbesondere Pere Faura legte mit „No Dance, No Paradise“ seine ganze, von gegensätzlichen Stilen geprägte Liebe zum Tanz in eine scharfe, überaus gewitzte Analyse. Maria Muñoz interpretierte letztmals selbst ihren Solodialog zu Teilen aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Dabei erinnerte ihre kraftvoll-zarte Gestalt an eine stimmlose Edith Piaf – beredt einzig durch die Variationen ihres Bewegungsvokabulars. Der erhoffte Wow-Effekt beim Clash von Modern-Dance-Improvisationen und Flamenco durch das Männerduo Albert Quesada & Zoltán Vakulya blieb dagegen aus. Das passiert, wenn man zwar gute Ansätze findet, dann aber nur an der Oberfläche eines Phänomens kratzt.
Ein Vorwurf, der bei George Balanchines „Jewels“ nicht greift. Dabei gibt es in diesem gut abgehangenen Dreiteiler aus dem Jahr 1967 weder Inhalt noch Spannungsbogen. Das Ballett lebt nur aufgrund seiner farbig glitzernden Formen. Eigentlich gefährlich langweilig, wie Auslagen unbezahlbarer Klunker. Aber: Das Wesen der Virtuosität ist ihre Selbstverständlichkeit. Genau das hat das Bayerische Staatsballett jetzt zum Auftakt der Ballettfestwoche sensationell umgesetzt. Zusätzlich angefeuert von drei in ihren Parts überwältigenden Gästen.
Gruppen, Trios und Paare – alle sind wunderbar aufeinander eingespielt. Schon bei „Emeralds“ zu Musik von Gabriel Fauré wird jegliche romantische Verschlafenheit einfach weggewischt. Fortgeweht wie das Premierenlampenfieber. Mehr noch als die juwelenbesetzten Kostüme funkeln hier mittlerweile die Persönlichkeiten selbstbewusster InterpretInnen. So gelingt der Kompanie der Coup, sich über die Leere des vermeintlich ohne Charaktere auskommenden Stücks hinwegzusetzen. Und aus der an sich trockenen, technisch tückischen Juwelenschau ein Fest klar ausformulierter Schönheit und emotionaler Geometrie zu machen.
Das ultimative Feeling von Easy-going in einer neoklassischen Partie demonstrierte Ashley Bouder. Die Erste Solistin des New York City Ballet – ein sportives Kraftpaket mit nicht zu unterschätzendem Temperament und körperlicher Bungee-Seil-Qualität (eine Überraschung für alle, die meinen, Ballettchef Igor Zelensky sucht Einheits-TänzerInnen von der Stange!) – gab in „Rubies“ (Musik: Strawinsky) ihr fulminantes Hausdebüt.
KünstlerInnen brauchen ihre Zeit, um das so hinzubekommen! Doch in München arbeiten momentan unübersehbar viele daran, sich derart eigenwilligen Weltbesten an die Fersen zu heften. Auf die frechen, nie den Blickkontakt abreisen lassenden Aufforderungen seiner katzenkrallig-jazzigen Partnerin zu einem Duell unter Virtuosen wusste Osiel Gouneo jedenfalls mit stets grandioser Lockerheit zu antworten. Der Spaß endete in heftigem Jubel
Überhaupt wurde man den Eindruck nicht los, dass „Jewels“ zu tanzen den Tänzerinnen und Tänzern enorme Freude bereitet. Schließlich kann man sich darin ziemlich verausgaben. Möglichst ohne dem Publikum etwas über die physische Anstrengung hinter dem hübschen Schein zu verraten. Alina Somova ist seit 2008 Erste Solistin am Mariinsky-Theater. In „Diamonds“ zu Tschaikowskys 3. Sinfonie forderte sie Vladimir Shklyarov als eiskalte Schneekönigin heraus. Hartnäckigkeit, dachte sich dieser, ist des noblen Schmachters Lohn.
Shklyarov – die erste Saison unter Igor Zelensky sogar festes Ensemblemitglied in der Landeshauptstadt – kommt oft und gern nach München. Stets mit einer brillanten Rollenausgestaltung im Gepäck. Nun aber übertrafen die beiden sich selbst und krönten „Jewels“ solistisch und als Paar. Fein geschliffene Diamanten auf dem Gipfel ihres Könnens. Der perfekte Glanz- und Höhepunkt zum Beginn der diesjährigen Repertoireschau.
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