Verstörend schön
Moritz Ostruschnjaks „Cry Why“ im schwere reiter
Uraufführung „Autoplay“ von Moritz Ostruschnjak im Schwere Reiter München
Wenn schon im World Wide Web klauen, dann mainstreammäßig konsequent. Moritz Ostruschnjak ist bei weitem nicht der Erste, der sich für ein Stück im Netz bedient wie in einem Baukasten voll anregender Ideen. Doch Respekt dafür, wie er – bzw. seine vier ganz verschieden famosen TänzerInnen – diesmal aus lauter kompilierten Fundstücken choreografische Kunst zu machen versteht.
Mit der Einflussnahme von Digitalisierung und Virtualisierung auf die soziale und körperliche Fähigkeit, Eindrücke zu verarbeiten, hat sich der freie Münchner Choreograf schon wiederholt auseinandergesetzt. Für „Autoplay“ – ein wahrhaft tolles, sehr imitationsgeprägt-bildsynchrones Tanzstück – ist er laut Programmheft noch einen Schritt weiter gegangen. In Zusammenarbeit mit Video-Partner Moritz Stumm und Musik-Sampler Jonas Friedlich wurde Bild für Bild und jeder Ton digital gewildert. Derart schamlos offensichtlich, dass in Projektionen über Landschaftsimpressionen weiterhin schwachweiß das Copyright „gettyimages“ schimmert. Beim Tanz verwischen die Vorlagen stärker oder sorgen für Irritation, wenn choreografisches Zitat und musikalische Begleitung eigentlich gar nicht zusammenpassen. Genau in diesen Momenten aber entfaltet sich der – hier vordergründig negierte – kreative Reiz
Im akustischen Bereich vermischen sich HipHop und populistische Klänge, Halleluja und bekannte Songrefrains mit einem abenteuerlichen Opernstimmengemetzel. Später rütteln aus dem Off gesprochene Phrasen über Frieden und Anarchie das raffiniert in einen von Paradoxen nur so strotzenden Mix aus intermedial und live dargebotenen Aktionen eingelullte Publikum auf. Bequem geworden, weil die bisweilen lustige Flut und unvorhersehbare Plötzlichkeit sich gegen jedwede Möglichkeit, das Gesehene auf die Schnelle zu analysieren oder zu hinterfragen, sperrt. Dagegen klingt Martin Luther Kings „I have a dream“ nach einer Selfiestrecke von Menschen mit Waffen wie üble Beschwichtigung.
Filme von Robotern und Passagen aus Strawinskys „Sacre“, Bachs „Johannes-Passion“ und „Goldbergvariationen“, Strauss‘ „Also sprach Zarathustra“ oder Wagners „Walkürenritt“ fachen – aus dem eigentlichen Kontext herausgerissen – die Begeisterungswelle für scheinbar sinnfreie Verlinkungen weiter an. Schlicht auf den Punkt gebracht in dem anfangs im Hintergrund blinkenden Wort „Hype“. Ins Feld geführt wird auch der Begriff Hass. Szenisch dann nah dran am Crash, der ab und an auch optisch über die beiden TV-Bildschirme rechts und links der Tanzfläche flackert. Wie ein PC, den die redundante Benutzung der Tastenkombination „Copy & Paste“ überfordert.
Ein Problem der Technik, dem die immer wieder neu mit stylischen Moves und Steps, Querverweisen auf unterschiedliche Stile, pantomimischen Einlagen oder mit – wohl Figuren des Videospiels Fortnite abgekupferten – Grimassen auftrumpfenden TänzerInnen stets elegant aus dem Weg gehen. Dass einem ausgerechnet bei einem Stück, dass die permanente Reorganisation und Loops im Klickprinzip zum Leitmotiv hat, zwei junge Talente ins Auge stechen – was sonst in der freien Szene eher selten ist – verpasst dem Abend zusätzlichen Ausnahmerang. Aber Annamaria Ajmone aus Italien und den Kanadier Daniel Conant muss man neben Cristian Cocco und Antoine Roux-Briffaud einfach gesehen haben.
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