„Loops“ von Yuki Mori

„Loops“ von Yuki Mori 

Der Telefonhörer im Aquarium

„Loops“ am Regensburger Stadttheater

Im Velodrom machen zwei Uraufführungen von Giuseppe Spota und Yuki Mori den Tanzabend „Loops“ zu einem großartigen Erlebnis. Die beiden Choreografen spielen mit ausdrucksstarken Bildern zum Thema Zeit.

Regensburg, 09/11/2016

Nein, das Murmeltier grüßt nicht täglich, auch wenn dieser Trugschluss durch den Titel „Loops“ nahezuliegen scheint. Eher ist man bei „Blank“, der ersten Uraufführung des Tanzabends im Regensburger Velodrom vielleicht an „E.T.“ erinnert. In Giuseppe Spotas Choreografie, mit welcher der Abend eröffnet, fällt eine Figur aus einer Milchglasscheibe. Während sich ihre Konturen in der von hinten beleuchteten Scheibe abzeichnen, tastet sich der von Kopf bis Fuß weiß eingepackte Mensch in die – neue – Welt. Knickt ein, taumelt, fällt, spielt mit den Fingern, richtet sich wieder auf. Geräusche und dann Musik beginnen den Raum zu füllen. Weitere Tänzer, auch in weiß, tauchen auf. Probieren sich ebenfalls aus, viel passiert zunächst am Boden. Sie richten sich auf, Duette wechseln ab mit Trios, die Tanzenden tauschen Zärtlichkeiten aus, spielerisch, zürnend dann, die Beziehungen werden mehr und dichter. Aus zuckenden, wälzenden Bewegungen werden größere Formen, im nächsten Schritt tauchen die tanzenden Menschen in Alltagskleidung auf, werden individueller. Sie beginnen zu raufen, belagern sich.

Einige stehen starr, wie abgeschaltet, während andere zur repetitiven Musik von John Adams „Shaker Loops“ intensivere Verbindungen aufbauen. Raum- und bühnenfüllende Konstellationen, in der Gruppe synchron getanzt, verdeutlichen Anpassungsprozesse, Macht und Stärke. Es ist ein fortlaufender Prozess, der sich hier im Bezug zur Musik verdichtet, die sich wie ein endlos langsamer Tsunami auftürmt. Wände aus übereinander gestapelten Brettern bilden ein karges, aber effektives Bühnenbild. In sich verdreht schaffen sie immer wieder neue Formen, dienen den Tänzern als einfache Mittel für leidenschaftliche Auseinandersetzungen, Kämpfe, für zärtliche Begegnungen und enttäuschte Erwartungen. Wie ein Versprechen öffnen sich am Schluss zwei Stapel wie eine Blüte, während die Bewegungen der Tänzer roboterhaft, kraftlos verebben und erstarren.

Spota sieht die Menschen blank, als „unbeschriebenes Blatt“ auf die Welt kommen. Nach und nach wird es mit Leben erfüllt. Es wird beschrieben, überschrieben – mit allem, was zum Leben gehört, der Mensch beginnt zu wachsen. Gleichzeitig verbindet der Choreograf Fragen an die Gesellschaft mit seinem Tanzstück: Warum muss heute alles immer schneller passieren? Es fehle die Zeit, um sich richtig entwickeln zu können, gereifte Persönlichkeiten zu werden. Das ist spannend und bewegend von Anfang bis zum fragenden Ende – und es ist mit großer Leidenschaft, schnell, präzise und packend getanzt. Eine tänzerisch großartige Leistung, die auch das zweite Tanzstück, Yuki Moris Uraufführung „Loops“ mit umfasst.

Langsam, wie in Zeitlupe, sinkt die Hand eines Mannes mit dem Telefonhörer nach unten und landet in einem Aquarium mit schwimmenden Äpfeln. Ist die Kommunikation nur unterbrochen, immerhin fischt die Frau am Schluss den Hörer wieder aus dem Wasserbad? Es ist eine Verknüpfung von realer Welt mit narrativen Bildern, Traum und abstrakten Vorstellungen über Zeit, die Regensburgs Tanzchef in seiner Choreografie nebeneinander stellt. Im Kern steht eine Liebesgeschichte, verkörpert in einem Soldaten – der mit wüstem Geschrei gedrillt, in die Welt hinausziehen muss, während sie am heimischen Herd um die Stehlampe tanzt. Das wirkt plakativ, ist es in gewisser Weise auch, und rührt dennoch an, wenn der „Welteroberer“ auf dem Schreibtisch hinausgefahren wird, aufgebahrt wie in einem Sarg. Unabhängig von dieser nicht immer ganz durchsichtigen Erzählung tanzt ein glücklich verliebtes Paar – ein geträumtes Leben? Ein drittes Paar repräsentiert die dunkle Seite dieser Beziehung, greift immer wieder einmal ein, tröstet und gemahnt. Einzelne Ausstattungselemente tauchen wieder symbolhaft auf, rote Schuhe, Äpfel, ein Maschinengewehr. Gegen Ende in immer kürzeren Spots ins Licht gesetzt und wieder im Dunkel versinkend. Der rotierende „Canto Ostinato“ des niederländischen Komponisten Simeon ten Holt zieht derweil seine suggestiven Kreise, Loops, wirkt aufreizend und delirierend zugleich. Mache Zuschauer fühlen sich davon richtig genervt, gestört, wie anschließenden Gesprochen zu entnehmen ist.

Mori arbeitet mit Videoprojektionen von Wäldern und Eisenbahnfahrten am Meer entlang. Er unterstreicht damit Warten und Bewegung, das scheinbar Immergleiche im Lebensfluss, das dennoch ständiger Veränderung unterworfen ist. Es ist ein dauerndes Strömen, in dem Bilder emotionale Zustände sichtbar, nicht in jedem Fall aber auch greifbar machen. Durchdrungen ist alles von einem tiefen Sehnen, einer romantischen Erwartung. Hervorragend in Szene gesetzt, was Licht, Kostüme und Bühnenbild (Monika Frenz) angeht. Wenige tänzerische Ungenauigkeiten fallen gegenüber den ausdrucksstarken Bewegungsformen und mitreißend getanzten Spiegelungen nicht ins Gewicht. Ein bewegender Abend mit minimalen Schwächen.
 

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